Ultralauf unter Coronabedingungen: Spartathlon 24./25. September 2021

Prolog zum härtesten Non-Stop Ultralauf-Lauf:
a) Über den Lauf (Überspringen, wenn Ihr ihn kennt):
Der Spartathlon findet 2021, nachdem er 2020 Corona geschuldet ausfiel, zum 39. Mal statt. Er ist kein „Event“ der Marke: Härter, technischer, weiter, hipper, etc……! Er ist wie er ist, einfach so brutal. Und man muss laufen. Walken allein geht nicht! Das liegt daran, dass er keine retorten Veranstaltung ist. Er hat einen wahren historischen Ursprung. Wir erinnern uns: Als die Perser Griechenland erobern wollten und Richtung Athen ablegten, war ihre zahlenmäßige Übermacht so groß, dass keiner wirklich auf einen Sieg bei Marathon gewettet hätte. Daher schickte man die Bitte um Hilfe nach Sparta los, was vor 2500 Jahren nur in Form eines Laufboten ging. Eben dieser Laufbote Pheidippidis, kam am darauffolgenden Abend in Sparta an. Also 246 km trotz Schatten loser, griechischer Hitze am Tag und Ende September schon kalten Nächten in den Bergen, plus 3000 Höhenmeter, in nur 36 Stunden. Das ist heute eben der Rahmen. Freitags morgens 7:00 Uhr Start an der Akropolis, Samstagabend bis 19:00 die König Leonidas Statue in Sparta erreichen. Und am Anfang nicht trödeln. Die Cut-Off Zeiten (= Rausschmiss Zeiten) entsprechend denen des modernen Erstläufers John Folden und der lief die ersten 42 km halt mal in 4:30. Für uns „Warmduscher“ dürfen wir auch 4:45 benötigen, müssen dann aber bis Kilometer 81 das wieder reinlaufen. Auch gibt’s nach 3,5 km nicht für 180 km ein Carbonrad mit Scheibe oder anderem Schnick-Schnack. Triathlon: „Wir Spartaner nehmen das weniger Ernst!“.
Ein Lauf so hart, dass bis heute der UTMB um den Mont Blanc herum mit seinen 164 km und etlichen Höhenmetern nicht als Qualifikation gilt! Es gab Jahre bei großer Hitze und obwohl die Nationen ja keine Laufanfänger schicken, mit bis 80 % Ausfallquote! Frei nach König Leonidas: „Das ist Sparta/Spartathlon!“

b) Über mich:
Ich bin inzwischen einer der „Senioren“ des deutschen Teams. Mit 56 Jahren im November und 7 Finishes bin ich einer der viele Krisen und Schwierigkeiten des Laufes kennt. Ich laufe seit nunmehr 17 Jahren und seit 14 Jahren Ultras. Beim Spartathlon habe ich eine Bestzeit von 26:15 h, habe 2018 den Zyklon Zorbas überstanden und gefinisht, einen anderen Läufer über die komplette Strecke begleitet und 2019 das Feld ab KM 81 von Platz 121 bis auf Platz 11 aufgerollt. Daher hatte ich mir für 2020 nochmal viel vorgenommen. Dann Corona: Ich gebe im Mai 2020 dem „Anstubsen“ meiner Tochter nach und wir schaffen uns einen Husky – Familienzuchtlinie (Heißt er rennt nicht ganz so viel wie die Arbeitslinie, will aber auch 4 h am Tag Beschäftigung von uns. Fernseher brauch ich nicht mehr!) – als Welpe an. Deal ist, ich darf Juli bis September voll trainieren. Dann wird Sparta verschoben, obwohl ich top fit bin. Ab dann nur noch Husky-Laufplan eines kleinen Junghundes. Bis Juli 2021 längste Strecke 21 km, aber immer wieder Zwischensprints bis Tempo 2:50min/km – vom Husky gezogen!! – auf den KM. Gegenstemmen mit viel Oberschenkelarbeit gegen Zug in die falsche Richtung. Mein Freund Thomas motiviert mich am 31. Juli in Griechenland 102 km „In the Steps oft he Heroes“ zu laufen. Heiß, auf den letzten Kilometern rund 1400 HM hoch und 1700 HM runter: Gesamtsieg, mit Führungsarbeit auf den letzten 60 km, allen Tricks die ich kenne, um den Gegner/Verfolger abzuschütteln und eine Zeit von unter 10 h, was in der Geschichte des Laufes nur ganz Wenige schafften. Und das Ziel ist die 2. Leonidasstatue in der Gesamtregion, weil dort an den Thermophylen eben der Kampf der „300“ stattfand. Ich kann es also noch! Ich entscheide mich beim Spartathlon zu starten und den Lauf mit Erfahrung zu laufen – beide Leonidasstatuen in einem Jahr zu erreichen. Sohn und Tochter passen auf die inzwischen 2 Huskys auf – ein neuer Welpe kam 2 Wochen vor dem Start hinzu und hat auch mir etwas Nachtschlaf genommen. Zusammen mit der Coronabelastung des niedergelassenen Arztes und seit 1,5 Jahren einer knapp 60 h Woche, glaubt mein Praxisteam nicht an ein Finish von mir, per se eigentlich nur meine Kinder. Nach dem Motto: Die Chancen sind gering, aber Papa nutzt die eine Chance!

Das sind die Voraussetzungen mit denen ich am 24.9. um 7:00 Uhr als einer vom 350 gemeldeten Läufern aus aller Welt für das Deutschen Teams an der Startlinie unter der Akropolis stehe.

Der Lauf:
Das Wetter soll nicht „so heiß“ werden. Nur bis 30° C. Nachts in den Bergen werden es aber nur 8° C werden. Start mit Abstand und Maske bis über die erste Zeit-Messmatte. Ich laufe ruhig los und schaffe mein Plantempo, obwohl auf den ersten 42 km schon Coronaregel bedingt nur etwa jeder 4 Check point Wassereimer zum Abwaschen und Kühlen hat. Alle anderen Check points haben Eimer und Schwämme, aber kein Wasser im Eimer. Und Trinkwasserflaschen möchte ich mit Fairness zu den langsameren Läufern weiter hinten nicht verwenden. Ich laufe so auf Platz 30-35 rum. Die Umleitung in Megara macht mir Nichts aus. Die Strecke muss ja sowieso gelaufen werden. Marathon in rund 3:45 an Check Point 11. Ab dann wird es heißer und leider sind jetzt für uns vorne gar keine Eimer mehr da. Check point 15 nervt mich mit: Trinkwasser nach nur 30 Läufern weg, weil noch nicht alles ausgepackt ist. Cola will ich noch nicht. Also Tempo raus! In Hellas Can bei CP 22 haben wir den Kanal von Korinth schon überquert und ich bin so um 14:20 Uhr dort. Zwanzig Minuten später als ich es gerne gehabt hätte und eben mit „rotem Kopf“. Trotzdem große Probleme gibt es noch nicht. Nur der „Spaß“ fehlt mir. Früher war es oft sogar härter/schmerzhafter, aber hat Spaß gemacht. Es ist ein bisschen wie im Harry Potter, als Lord Voldemort die Macht hatte: Es liegt diese tiefe Traurigkeit über mir. Liegt das an der allgemeinen Stimmungslage noch aus Corona-Deutschland oder das ich weiß, die Spartathlons werde für mich mit 56 Jahren jetzt „schwerer“? In jedem Fall: Weiter geht´ s! Mindestens ein „Job“ ist zu erledigen, für den ich mich selbst eingeteilt und beworben habe. Kneifen und drücken geht nicht. So viel Selbstachtung muss als „Spartaner“ sein!
Kurz darauf liegt ein großer Hund auf der Straße im Schatten eines Baumes. Andere Läufer machen einen großen Bogen und schauen zurück etc. -Ihr kennt das. Ich schätze den Hund müde bei der Hitze und gutmütig ein, laufe direkt vor seiner Schnauze vorbei und schaue nur aus den Augenwinkeln runter. Er hebt nur müde den Kopf und sein Blick sagt: „Renn doch nicht so Mensch, ist Mittagsschlafenszeit.“ => Hund richtig eingeschätzt, ich bin stolz auf mich, 20 m auf 246 km gespart! Auch kleine Highlights helfen.
Zwischen ca. KM 100 und Nemea geht es durch das bekannte tolle Toscana ähnliche Tal. Die langsam sinkende Sonne liegt über den gewellten Olivenbaumplantagen. Kalenderbilder und ich bin live drin. Nach gut 12 Stunden und noch bei Tageslicht erreiche ich die 123 km. Und damit Nemea. Schnell weiter nach Malendreni, denn auf dem Weg dorthin kommt noch die bekannte Schotterstrecke. Leider erreiche ich diese, wie die meisten Läufer – ich liege auf Platz 30-35 herum – im Dunkeln. Dieses Jahr werden die Betreuer nicht umgeleitet und dürfen auch wieder diese Straße nehmen. „Nein ich bin von der Rücksichtslosigkeit die Läufer locker mit 50km/h zu überholen und in einer Staubwolke einzuhüllen, gar nicht genervt!“ Ehrlich: Der Staub in der Lunge ist das eine Problem. Schlimmer noch: In dem Nebel sieht man den Boden und die Schlaglöcher sowie dicken Steine nicht. Akute Verletzungsgefahr wegen Denkfaulheit von Betreuern! Den Versuch des dritten Wagens mit 50 km/h zu überholen blocke ich durch Laufen in der Mitte ab. Entweder ich Deine Kühlerfigur oder Du auf 10 km/h runter! „Geht doch!“ Jetzt noch klare internationale Handzeichen und man fährt ganz langsam weiter! Muss man eigentlich erst immer zum A… werden, bevor man gegenseitig Rücksicht nimmt?
Malandreni, Lyrkia, Kaparelli: Die schönen kleinen Orte in der Nacht „fliegen“ dahin. Aber die Party der letzten Jahre findet Corona bedingt nicht statt. Insgesamt fehlt dem ganzen Land und Lauf – ebenso wie in Deutschland die frühere Fröhlichkeit. Trotzdem merkt man: Es ist ein erster Schritt. Man erwacht aus der Erstarrung. Auch deswegen sind diese Veranstaltungen nun wieder so wichtig.
Ab Kaparelli geht es zum Mountain. Ziel: Base Camp bei KM 159. Die Bergstrasse laufe ich im Sekundenschlaf Schlangenlinien. Kurz nach Mitternacht erreiche ich Mountain Base und versuche zu schlafen: T-shirt+langer Pulli+Jacke+ 2 Decken: Der kalte Wind ist so stark, daß ich nach 15 min aufgebe und den Trailabschnitt des Sangaspass angehe. Mountain-Top Wind geschützt ein Kaffee, was ich noch nie gemacht habe in all den Jahren. Aber auch bergab kein Risiko! Im Gegensatz zu früher wäre selbst eine einfache Fußverletzung mit 6 Wochen Praxispause als selbständiger Arzt eine Existenzbedrohung. Vertreter bekommt man ja keine mehr. Der Arztmangel ist ja so schon Realität, selbst in den Krankenhäusern, wo der Job leichter ist. Keine knapp 60 h Woche und man ist nicht: Arzt, Personalchef, Strahlenschutzbeauftragter, etc., pp… in einer Person! Sekundenschlaf oder Halluzinationen, was andere Läufer riskieren, geht für mich selbst bei einem solchen Lauf und selbst wenn ich Richtung Podium laufen würde gar nicht. Runter volle Konzentration auf dem Geröll mit den „Asphalt-Profil- losen Laufschuhen“. Mir wird warm durch die Anspannung und ich gebe die Jacke in Sangas bei KM 164 ab. Weiter nur in langer Hose und langem Pulli. Für mich Frostbeule ein großer Fehler. In Nestani (KM 172), was ich um 2:21 Uhr erreiche, noch 10 min schneller als 2019, trotzdem nochmals Schlafversuch. Zuviel Trubel dort!
Erst in Tegea schließlich: Matratze, weiche Kuscheldecke und 15 min Schlaf. Als ich los will sagt die Chech point Dame: „Ich war schon am Check point am Mountain Base. Dir war doch so kalt. Nimm die Decke als Poncho mit, wir müssen sie doch wegen Corona müllen.“ Ich mache einen Poncho wie Clint Eastwood in seinen besten Western und los geht’s. Endlich warm! Ich werde die Decke erst bei KM 211 abgeben, auch wenn ich den Poncho immer neu richten muss und er meine Armbewegung einschränkt. (Ich ziehe ja keine Colts wie Eastwood, sondern laufe!). => Emotional Support vom Feinsten: Es denkt jemand für mich, den Hobbyläufer, für den er sich so schon die Nacht um die Ohren schlägt, nahezu liebevoll, mit viel Empathie mit, um mein Finish zu sichern. Daher ist ein Teil meines Finishes auch ihr, der unbekannten Check-point-Poncho-Dame gewidmet.
Ab KM 211 ist es Routine: Am Check Point etwas Wasser trinken, wenn der Magen es schafft Schokolade oder Gel, steil bergauf gehen, ebene Abschnitte langsam im 7:00er Schnitt laufen, bergab wegen der kaputten Muskulatur 5:50 laufen, schneller geht nicht mehr. Damit bin ich aber immer noch ein „Rennpferd!“
Begleitet von Kindern auf Fahrrädern und mit der Polizeimotorradeskorde erreiche ich als 24. Mann und Gesamt 29. (immer diese Power Frauen J ) Leonidas: „Job erledigt!“ Natürlich bin ich glücklich und stolz es geschafft zu haben, mein 8. Finish! Bester im Deutschen-Team mit über 1 h Vorsprung. Wenn ich es richtig rekonstruiert habe, auch schnellster unbetreuter Läufer. Mit 29:21:57 h auch eine gute Zeit; hiervon gut 1 Stunde Schlaf und 2 Stunden essen etc. an den Check points. (Eine Stunde spart hier der Betreuer der alles fertig hat, wenn man am Check point ankommt und der einen nicht unnötig lange die Stirnlampe tragen lässt oder frieren oder mit Poncho laufen, etc.) Ja, darauf bin ich stolz. Auch den wieder einmaligen Einlauf im Ziel über 2,4 km Feier und die letzten 500 m ein einziges Zujubeln an die Finisher habe ich genossen. Trotzdem: Corona hinterlies auch hier Spuren: Unterwegs – außerhalb von Athen – viel weniger Verkehr. Ob Schnellstrasse oder sogar Oliven- und Weinbauern. Keine Party in den Orten. An allen Check points die fühlbare Angst, daß wohl das Gesundheitsamt zusieht und maßregelt. An manchen Check points musste man warten bis der vorherige Läufer den „Obst-/Getränketisch“ verlassen hat. Anreichen von Obststückchen und wenn vorhanden sogar Eiswürfeln in separaten Pappbechern. In den Hotels: Nicht die herzliche Begrüßung und das Hallo zwischen den internationalen Sportlern. Selbst das Hotelpersonal: Einerseits froh über Kunden, andererseits frustriert und schier genervt von den vermeintlich Reichen, die schon wieder Urlaub machen und ihnen Arbeit. Selbst die Eventagentur die die Abschlussparty im Freien am Meer organisierte wirkt „unfröhlich“, statt dankbar das es wieder Partys gibt. Bei uns Läufern – nach etwas Alkohol – ging es trotzdem bis 1:00 Uhr ab, bis dann die Lautsprecher weg waren. Im Gegensatz hierzu alle Helfer des Spartathlon Orga-Teams selbst, die diesen Lauf am Leben erhalten: Man merkte ihnen Anspannung und Anstrengung an, aber auch die Freude, das es stattfindet. Gerne werde ich wiederkommen. Das habe ich versprochen! Aber:
Vielleicht komme ich -obwohl das eigentlich mein letzter Spartathlon als Läufer sein sollte – sogar als Läufer und nicht als Supporter wieder. Ich hoffe, es sogar. Dann vielleicht wieder vorab schon in freudiger Vorspannung auf die „Leiden und schönen Momente; die Krisen und Highlights“ unterwegs. Nicht nur: Job done! Also in einer Zeit „post Corona-Lähmung!“.
Ab 227 km einfach Sparta im 5er Schnitt entgegen zu fliegen, die harte Muskulatur ignorieren, nicht so viele Bedenken, die einen bremsen….Unter dem Leichtsinnsmotto: „Kinder wollt ihr ewig leben!“ Run like a Husky: Genieß das Laufen als Selbstzweck, einfach ohne bremsende Gedanken/Bedenken!

Ich freu mich auf……..2022??????

(Mehr Infos über und zu dem Lauf auf: www.spartathlon.gr)